Freitag, 18. Januar 2008

Das Ende vom Lied - Die sinnlose Foerderung durch subventionierten Musikschulen

Author: Alois Schoerch, http://www.promenadenkonzerte.at/Daten/zensur2004.doc

Die ziellose Förderung der Musikschulen führt zum Untergang jener, die von Schülern und Lehrern etwas verlangen, weil sie Auftritte bestreiten müssen.

Wenn man eine Musikkapelle 14 Jahre lang als Kapellmeister geleitet und sie in dieser Zeit durch alle Leistungsstufen zu einer der besten und bekanntesten des Landes gemacht hat, hört man nicht einfach auf. Zuviel an Zeit und Anstrengung wurde geopfert. Ganz abgesehen von den zahlreichen und intensiven Freundschaften, die sich mit den Jahren ergeben haben. Als ich daher meinen Vertrag bei der Stadtmusikkapelle Innsbruck-Saggen nicht mehr verlängerte, hatte ich triftige Gründe, die sich in einem einzigen Satz zusammen fassen lassen: Ich wusste mir kein Rezept mehr, eine Trachtenkapelle im urbanen Raum und unter den gegebenen kulturpolitischen Umständen in eine gedeihliche Zukunft zu führen.
Das emotionale Unterfutter für diese Erkenntnis waren Erlebnisse, die ich beim Versuch machen musste, junge Leute für unseren Verein zu gewinnen. Alljährlich besuchten wir die Volksschulen unseres Stadtteils, stellten dort die Instrumente vor, die in einer Musikkapelle gespielt werden, und versuchten die Kinder und Jugendlichen dafür zu begeistern, ein solches Instrument zu erlernen. Das gelang denn auch in den ersten Jahren. Nach unserem Rundgang kamen wir meist mit 20 Anmeldungen zurück, von denen 10 Schüler dann tatsächlich mit dem Unterricht begannen. Sie bekamen von uns Instrumente und wir stellten den Kontakt zur Musikschule und zu den Lehrern her. Im Laufe der Jahre dürften auf diese Art bis zu hundert Mädchen und Buben mit den Instrumenten und der logistischen Unterstützung unseres Musikvereins dem öffentlichen Musikunterricht zugeführt worden sein.
Eines Tages, als wir wieder einmal unsere Werbetour unternahmen, mussten wir allerdings feststellen, dass das Feld schon vor uns von den Gitarre-, Blockflöten und Elektroorgel-Lehrern abgegrast worden war und dass für Blasinstrumente, die aus physiologischen Gründen erst ab einem Alter von acht / neun Jahren erlernt werden können, kein Interesse mehr bestand. Plötzlich fanden wir uns also darüber belehrt, dass wir neben Fußball, Reiten, Ausdruckstanz, Haltungsturnen und Fechten auch noch in Konkurrenz zu allen anderen Instrumenten standen, obgleich vonseiten der Politik immer wieder beteuert wird, dass die Blasmusik jene sozusagen offizielle und traditionelle Staatsmusik sei, deren zentrale Aufgabe darin bestehe, die weltlichen, sakralen und touristischen Feste einer Gemeinde mit Musik zu umrahmen. Würden dies in Zukunft Mandolinen- und Blockflötenorchester besorgen?
Wenn ich bisher gedacht hatte, dass der Musikunterricht, so vernünftig es sein mag, die musikalischen Talente der Jugend generell zu fördern, vor allem jenen zugute kommen müsse, die bereit sind, ihre mit öffentlichen Mitteln erworbenen Kenntnisse wieder in den Dienst dieser Öffentlichkeit zu stellen – denn Musik, die lediglich zur Selbstverwirklichung erlernt wird, kann doch wohl ebenso wenig Gegenstand von Förderungen sein, wie auch niemand erwartet, dass Yoga, Golfspielen oder Fliegenfischen vom Staat subventioniert werden – so musste ich jetzt erkennen, dass diese am sparsamen Umgang mit Steuermitteln orientierte Erkenntnis überall dort außer Kraft gesetzt wurde, wo der Musikunterricht zu einer schulischen Einrichtung und die Musiklehrer zu Quasibeamten aufgestiegen waren. Hier galt als Leistungsnachweis plötzlich nicht mehr die in Kirchen oder Gemeindesälen exzellent spielende Musikkapelle, sondern die Menge der durch die Institution der Musikschulen geschleusten Jugendlichen und fallweise zum Aufputz allfällige Preise bei Wettbewerben wie „Jugend musiziert“.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Gespräch mit dem ehemaligen Landeshauptmann von Tirol Wendelin Weingartner, der mich einmal ganz verzweifelt fragte, ob es tatsächlich notwendig sei, die Musiklehrer in den Landesdienst zu übernehmen. Ich erklärte ihm, dass es den Untergang der Blasmusik bedeute, wenn die Vereine nicht mehr selbst die Auftraggeber gegenüber den Musiklehrern seien, sondern unter dem Vorwand der besseren Ausbildung zwischen Kapellen und Schülern die Bürokratie einer Musikschule und damit eine eigene Unterrichtsindustrie dazwischen geschaltet werde.
Inzwischen kann die Richtigkeit dieser Ansicht vor allem im urbanen Raum längst nachgewiesen werden. Die Folgen einer Politik, welche mit den besten Absichten Musikschulen schuf, weil sie glaubte, dadurch die traditionelle Musikkultur des Landes in die Zukunft zu retten, sind nur noch als fuer diese Musikkultur ruinös zu bezeichnen. Wie überall, wo Lehrerschaften nicht einem laufenden Controlling unterworfen sind, verselbständigen sich die Schulen zur Existenzbasis jener, die von ihnen leben, und verlieren aus dem Auge, wozu sie eigentlich errichtet wurden.
Um bei der konkreten Geschichte meiner eigenen Kapelle zu bleiben: Von den 100 Schlern, welche allein die Stadtmusikkapelle Innsbruck-Saggen zum Unterricht in die st¨ädtische Musikschule schickte, konnten ganze 5 mit teilweise nur mangelhaften Kenntnissen in die Kapelle eintreten. Dem gegenüber steht die Erfahrung, dass die erst vor 20 Jahren gegründete Kapelle ursprünglich deshalb einen so erfolgreichen Weg eingeschlagen hat, weil sie in den Gründungsjahren mit eigenen Lehrern und wesentlich geringeren finanziellen Mitteln einen Stamm an jungen Musikern ausbildete, der zum Teil heute noch den Kern des Orchesters ausmacht.
Ich kann mir in diesem Zusammenhang nicht den Vorwurf ersparen, dass ich den Schalmaienklängen vom Wert einer öffentliche Musikschule mit fix angestelltem Lehrkörper erlag und dadurch eine strategische Fehlentscheidung mit trug, die letztlich zu einer Krise führte, die auch von meinem Nachfolger trotz engagierten Einsatzes nicht bereinigt werden konnte. Die Interessenslage gleichsam verbeamteter Lehrer ist nicht mit jenen Zielen in Einklang zu bringen, die eine engagierte traditionelle Blasmusikkapelle verfolgen muss, um erfolgreich zu sein. Dies beginnt schon damit, dass die Musikschulen seitens der Politik niemals den Auftrag erhielten, dafür zu sorgen, dass der Blasmusik als der offiziell gepriesenen Staatsmusik nicht der Nachwuchs ausgehe.
Durch das Fehlen eines solchen Auftrags regiert der freie Markt, der durch die kommerzielle Unterhaltungsindustrie und die Quotenhurerei der Medien die Jugendlichen zu Instrumenten treibt, nach denen kein gesellschaftlicher Bedarf besteht. In Folge überfüllen die Begabtesten die Konservatorien mit genau jenen Modeinstrumenten und Musikrichtungen, für die sie als Lehrbefähigte sodann eine Existenzgrundlage suchen. In letzter Konsequenz werden die Musikschulen, denen es, wie schon gesagt, um den Umsatz an Schülern und die Selbstbefriedigung ihrer Standesinteressen als Lehrindustrie mehr geht als um den nicht erfolgten und daher numinosen gesellschaftlichen Auftrag, zu pädagogischen Exekutionsorganen genau jener globalisierten und verkommerzialisierten Trivialmusik, der die traditionelle Blasmusik als Ausdruck regionaler Identität entgegenwirken soll. Wo neue Planstellen in dem Ausmaße erkämpft werden, in dem die Konservatorien Nachschub liefern und in dem die Nachfrage nach Instrumenten besteht, hat jedoch das Genre Blasmusik umso weniger Chancen, als sein Image im urbanen Bereich nicht günstig ausfällt und sowohl Tracht als auch Marschmusik von grün angehauchten Linksliberalen in der Regel an der Grenze zur nationalsozialistischen Wiederbetütigung oder zumindest zum jugendlichen Alkoholismus angesiedelt werden.
2. Teil: (Vorschlag) Wo früher also fast ausschließlich für die Blasmusik unterrichtet wurde, hat sich heute eine staatlich subventionierte Kinderaufbewahrungsindustrie angesiedelt, die vom Hackbrett bis zum Didgeridoo alles anbietet. Und selbst unter jenen, die ein klassisches Blasinstrument erlernen, wird der Anteil derer, die dies tun, um nach einigen Jahren einer Musikkapelle beizutreten, immer geringer. Dies hängt damit zusammen, dass die Musiklehrer strukturell nicht in der Lage sind, die von einer tüchtigen Akquisition in ihre Schulen geschwemmten unbegabten oder desinteressierten Schüler, die immerhin in ihrer Masse seine Existenzgrundlage bilden, wieder nach Hause zu schicken. Dies würde nämlich nicht nur den Ruf der Musikschule ruinieren, sondern auch seine eigenen pädagogischen Qualitäten als Lehrer in Frage stellen. Daher werden denn 80 Prozent des Schülermaterials mit allen nur möglichen Tricks über die Jahre gerettet.
Und auch in diesem Fall kann sich die Blasmusik nur unbeliebt machen, wenn ein Kapellmeister feststellen muss, dass sein mit soviel Hoffungen befrachteter Jungklarinettist nach vier Jahren Unterricht von einem einfachen Marsch noch immer restlos überfordert ist. Aber es gibt natuerlich auch andere Schüler. Die 20 Prozent der Begabten und Interessierten! Sie dienen dem Musiklehrer dazu, sich angesichts der 80 Prozent anderer vor der täglichen Depression zu bewahren. In sie investiert er alle Liebe und sein ganzes Können. Sie treibt er zu Wettbewerben, gründet für sie Ensemblemusik, Klarinettenorchester, Big Bands und Schulblasorchester. Wer sollte da noch Zeit haben, an die arme und seit Jahren kriselnde Kapelle des Stadtteils zu denken, die an schönen Sommersonntagen zu faden Messfeiern aufspielen muss und deren Mitglieder sich, wenn alle anderen Ferien machen, in der Straßenbahn wegen ihrer komischen Gewandung auslachen lassen müssen.
Wie schon gesagt: Mein schwerster strategischer Fehler war es, dem Geschwätz der Politiker und Musiklehrer erlegen zu sein und darauf vertraut zu haben, die Partnerschaft zwischen Musikverein und Musikschule werfe für beide Teile etwas ab. Sie hat nicht nur nichts abgeworfen, sondern auf direktem Weg in die Katastrophe geführt. Und um andere vor ähnlichen Katastrophen zu bewahren, mögen einige pragmatische bis durchaus zynische Ratschläge aufgelistet werden, wie es anzustellen ist, die eigene Musikkapelle vor den ruinösen Leistungen unserer tüchtigen Kulturpolitiker und Musiklehrer zu bewahren. Welche Musikkapellen haben also in Zukunft noch eine Chance?
1. Zuerst sind es einmal jene, bei denen der Musikschuldirektor selbst der Kapellmeister ist. Er wird aus Gründen der Eitelkeit und des Ehrgeizes sein Institut genau dazu benützen, wozu es eigentlich geschaffen wurde: Um die Bevölkerung mit Musik zu versorgen und sich gegenüber dem kommerziellen Druck der Weltmusik durch die hohe Qualität der regionalen Idiome zu emanzipieren. Leider reicht es zu Letzterem aufgrund mangelnder Bildung nur in seltenen Fällen. Da die pödagogische Musik, deren Ziel es ist, dass der Schüler sich wohl fühlt und Eltern und Staat Leistungen geboten bekommen, die nach mehr klingen als sie in Wirklichkeit ausmachen, fast alle anderen Genres verdrängt hat, repräsentieren die Programme der meisten Musikschulorchester genau jenen symphonischen Müll, der eine Emanzipation der Blasmusik gegenüber anderen Musikgattungen erfolgreich verhindert hat. Dies ändert jedoch nichts am erfreulichen Umstand, dass durch die Verbindung Musikschule, Kapellmeister und Gemeinde meist doch leistungsfähige Jugendorchester mit einigen älteren Musikanten dazwischen zustande kommen.
2. Besonders in kleinen Gemeinden, die im Verhältnis zu ihren Budgets relativ hohe Beiträge für die Musikschulen zu bezahlen haben, besteht die Möglichkeit, dass der Bürgermeister und die Gemeinderäte durch den direkten Kontakt mit der Bevölkerung das Überhandnehmen von Blockflöten- und Elektroorgelklassen verhindern können. Sofern der Unterricht zudem noch in den Räumlichkeiten der Musikkapelle abgehalten wird, ist auch eine kontinuierliche Kontrolle des Unterrichts und des Lernfortschritts möglich. Die überschaubaren sozialen Strukturen eines Dorfes können somit genau jenen fragwürdigen Pluralismus verhindern, hinter dem sich die Lehrerschaft in größeren Orten bequem einzurichten versteht. Die Budgetknappheit, die zur Rechtfertigung der Bevölkerung gegenüber zwingt, formuliert indirekt jenen Auftrag an die Musikschulen, der auf Länderebene aufgrund mangelnden kulturpolitischen Konzepts unterblieben ist: Dass aus öffentlichen Mitteln nur zu fördern ist, was dieser Öffentlichkeit an künstlerischer Leistung wieder zurück gegeben wird.
3. Außerhalb kleiner Dörfer und außerhalb der Korrumpierungsmöglichkeit von Musikschuldirektoren durch den Adel einer Kapellmeisterstelle besteht die reelle Überlebenschance einer Musikkapelle im urbanen Umfeld lediglich darin, sich selbst einen nach Eigenbedarf orientierten Unterrichtsbetrieb einzurichten und durch Preisdumping gegenüber den trotz Subventionen überteuerten öffentlichen Musikschulen genau jene Jugendlichen anzusprechen, die als Angehörige der unteren Schichten immer schon das Gros der Musikkapellen ausmachten. Dies eröffnet nach sicherlich größerem Erstaufwand nicht nur die Möglichkeit, eigenen Musikanten einen Teil des Unterrichtshonorars zukommen zu lassen, sondern auch blasmusikfreundliche Lehrer anstellen und jederzeit wieder entlassen zu können. Dass dieses Modell der Selbstausbildung in letzter Zeit in Verruf geriet, obgleich es fast ein Jahrhundert lang nicht schlecht funktioniert hat, beweist lediglich, in welchem Ausmaß die Interessensverbände der Blasmusik von der Lehrindustrie unterwandert und für die eigenen Zweck ausgebeutet wurden. Da diese Ausbeutung heute bereits Ausmaße angenommen hat, dass der eigene Wirt, von dem man bisher gut lebte, zugrunde zu gehen droht, lässt darauf hoffen, dass sich die Argumentationslage in absehbarer Zeit drastisch im Sinne der hier entwickelten Gedanken verändern wird.

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